Von rechten Opfern und „identitätslinker“ Schuld

Vor einigen Tagen bin ich in den Frankfurter Heften auf den Text „Die zerstrittene Mediengesellschaft und die ,Grenzen des Sagbaren‘“ von Michael Haller gestoßen. Darin diagnostiziert der renommierte Journalismusforscher eine „Zerrüttung des Meinungsklimas“ in Deutschland und versucht sich anschließend an einer Erklärung dafür, wie es zu diesem Missstand kommen konnte. Was nach einer wissenschaftlichen Analyse klingt, ist ein mit selektiver Empirie dekorierter, interpretativ und argumentativ stark einseitiger und in seinen politischen Implikationen äußerst problematischer Rundumschlag gegen eine diffuse Identitätslinke“. Als Fachkollege möchte ich das nicht unkommentiert lassen. Eine Textkritik.

„Das Grundgesetz gewährleistet in Artikel 5 Absatz 1 die Meinungsfreiheit – gleichwohl ist eine große Mehrheit der Ansicht, nicht das sagen zu dürfen, was man gern sagen möchte!“ Mit dieser „Nachricht“ aus dem vergangenen Jahr, leitet Michael Haller seinen Beitrag über die „zerstrittene Mediengesellschaft“ und die „Grenzen des Sagbaren“ ein. Sie ist zugleich die Ausgangsthese seiner Diagnose eines „zerrütteten Meinungsklimas“ hierzulande, die er mit Ergebnissen einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach und der 18. Shell-Jugendstudie zu unterfüttern weiß. So seien etwa „rund zwei Drittel der Bevölkerung“ der Ansicht, „man müsse heute ‚sehr aufpassen, zu welchen Themen man sich wie äußert‘“; 71 Prozent fänden, man könne „‚sich zur Flüchtlingsthematik nur mit Vorsicht äußern‘“; 78 Prozent hätten sogar gesagt, „man müsse in der Öffentlichkeit mit Kommentaren zu ‚einigen oder vielen‘ Themen vorsichtig sein“; und schließlich seien laut Shellstudie 68 Prozent der Jugendlichen der Meinung, man dürfe „nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden“. Folglich sehe sich die „Mehrheit der Bevölkerung“, so schreibt Haller mit Verweis auf diese Umfragen weiter, „im öffentlichen Raum einer rigiden sozialen Kontrolle ausgesetzt“; sie sei davon überzeugt, „man werde genau beobachtet, ‚wie man sich in der Öffentlichkeit verhält und was man sagt‘“; und fände, „die Political Correctness werde übertrieben“, weshalb sie „genervt“ sei „von den sozialen Vorschriften und Normen“.

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Call for Papers für ein Themenheft „Herausforderungen der Digitalisierung – Theoretische und methodische Antworten der Kommunikationswissenschaft“

Gast-Herausgeberinnen und Herausgeber: Christian Strippel, Annekatrin Bock, Christian Katzenbach, Merja Mahrt, Lisa Merten, Christian Nuernbergk, Christian Pentzold & Annie Waldherr

PDF-Version | doi: 10.1007/s11616-018-0404-6

Schlagworte wie Digitalisierung, Datafizierung und permanente Vernetzung bezeichnen gesellschaftliche und mediale Wandlungsprozesse, die die Kommunikationswissenschaft vor zunehmende Herausforderungen stellen. Hierzu sind im „Forum“ der Publizistik zuletzt einige Beiträge erschienen, die gemeinsam mit dem Zeitschriftenpreis der DGPuK ausgezeichnet worden sind. Diese Debatte um die Zukunft des Fachs „in datengetriebenen Zeiten“ (Hepp 2016) umfasst grundsätzliche Fragen zum Gegenstand der Kommunikationswissenschaft. Sie beschäftigt sich daran anschließend aber auch mit der Frage, welche Theorien und Methoden (noch) geeignet sind, um diesen Gegenstand zu erforschen (siehe dazu auch Brosius 2016; Jarren 2016; Theis-Berglmair 2016).

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Gewinner und Verlierer

In Ermangelung eines passenderen Fotos hier Rudolf Stichweh während seines Vortrags auf der Preconference „Publikationsstrategien in der Kommunikationswissenschaft“ am 30. März 2017 in Düsseldorf

Am 30. März 2017 fand im Rahmen der 62. DGPuK-Jahrestagung in Düsseldorf eine Preconference zum Thema „Publikationsstrategien in der Kommunikationswissenschaft“ statt. Organisiert wurde die Tagung von Birte Fähnrich, Jutta Milde, Cornelius Puschmann und Lars Rinsdorf. Ich wurde als Vertreter des kommunikations- und medienwissenschaftlichen Nachwuchses eingeladen und gebeten, einen Response auf den Vortrag von Alexander Ruser zu halten. Da die Manuskripte zu den Vorträgen leider nicht veröffentlicht werden, möchte ich meinen Vortrag hier dokumentieren.

Alexander Ruser ging in seinem Vortrag „Die Stunde der Häretiker? – Externe Zwänge, interne Kämpfe und ihr Einfluss auf wissenschaftliche Karrieren in der ‚ökonomisierten‘ Wissenschaft“, der bisher leider online nicht zugänglich ist, der These nach, dass die „Ökonomisierung“ und „Quantifizierung“ der Wissenschaft nicht (nur) auf einen Druck von außen – etwa seitens der Wirtschaft oder Politik – zurückzuführen ist, sondern zumindest teilweise die Folge eines Inside Jobs sei: „Zweifellos“, so sagte er, „existieren auch Gewinner und damit potenzielle Komplizen und Kollaborateure der gegenwärtigen Veränderungen“. Als eben solche Gewinner macht er „empirisch und kooperativ arbeitende, international orientierte Sozialforschers mit Fachartikeln in ‚angesehen‘ Fachzeitschriften in Co- Autorschaft“ aus, während der „akademische Einzelkämpfer mit einem Interesse an (Groß)Theorie und dem Abfassen deutschsprachiger Monographien“ der prototypische Verlierer sei.

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Beitrag im Wissenschaftsmagazin ‚fundiert‘

fundiert

Das Wissenschaftsmagazin der Freien Universität Berlin fundiert hat für seine neue Ausgabe zum Thema ‚Kommunikation‚ meinen Chef, Martin Emmer, und mich zu aktuellen Entwicklungen im Bereich ‚Fernsehen und Internet‘ sowie – damit verbunden – zu unserem Forschungsprojekt interviewt. Entstanden ist daraus ein lesenswerter Beitrag über die „Zukunft auf dem Schirm“. Den Beitrag gibt es hier zu lesen.

Beitrag auf DRadio Wissen über Conversational Journalism

Für die Redaktionskonferenz von DRadio Wissen hat mich Anne-Katrin Eutin, mit der ich kürzlich über die Filter Bubble gesprochen habe, zum Thema „Conversational Journalism“ interviewt. In den USA wird die dialogorientierte Verbreitung von Nachrichten bereits seit einiger Zeit im Zusammenhang mit der Quartz-App diskutiert. Nun gibt es mit Resi auch für den deutschen Nachrichtenmarkt ein solches Angebot. Den Radiobeitrag mit mir gibt es hier zu hören.

Beitrag auf couchFM zum Thema Filter Bubble

Für das Berliner Campusradio couchFM habe ich kürzlich mit Anne-Katrin Eutin über das Thema Filterblase gesprochen. Sie hat das Gespräch aufgezeichnet und daraus einen netten, kurzen Beitrag gebastelt, den es nun hier zu hören gibt. Die These, dass wir im Internet durch die verschiedenen Algorithmen von Facebook, Google und Co. zunehmend eine Meinungsblase zusammenpersonalisiert bekommen, steht nicht erst seit dem TED-Talk von Eli Pariser im Raum, hat durch ihn aber große Prominenz erlangt. In einem Beitrag für den Sammelband „Digitale Methoden in der Kommunikationswissenschaft“ (Maireder, Ausserhofer, Schumann & Taddicken, 2015) haben Martin Emmer und ich diese These für die Suchmaschine Google mal in einer kleinen Studie überprüft. Das Ergebnis:

„Über alle Suchenden hinweg war in Paarvergleichen im Durchschnitt etwa die Hälfte der jeweiligen Quellen gleich, in nur einem von 240 Einzelpaarungen wurden vollkommen identische Suchergebnisse ermittelt, und auch hier nicht in der identischen Reihenfolge. Die geringste Übereinstimmung lag bei nur 20 Prozent bzw. zwei von zehn Quellen.“ (S. 291)

Der vollständigen Beitrag „Stichprobenziehung für Online-Inhaltsanalysen: Suchmaschinen und Filter Bubbles“ ist hier frei zugänglich zu lesen.

Beitrag im ZEITmagazin über lineares Fernsehen

Vor einigen Wochen kam der Journalist Matthias Stolz zu uns ins Institut und hat Martin Emmer und mich zur Fernsehnutzung in Deutschland und unserer aktuellen Forschung interviewt. In dieser Woche ist sein lesenswerter Artikel zum Thema im ZEITmagazin erscheinen, unter anderem auch mit den Kolleginnen Teresa Naab, Arne Zillich und Anne Bartsch. Seit heute gibt es den Beitrag auch online.

Kreuzberger Narrativ

kotti

Seit einigen Wochen wird in vielen Medien verstärkt über meine Nachbarschaft berichtet. Das Kottbusser Tor in Kreuzberg, so der überwiegende Tenor, sei in den vergangenen Monaten zur No-Go-Area geworden, zu einem Ort zum Fürchten, einem Platz der Gesetzlosen und Verdammten. Ich wohne nun seit rund vier Jahren zwischen Kottbusser Tor und Görlitzer Park – dem anderen Kreuzberger Sorgenkind – und wundere mich gerade über die ganze Aufregung, da ich von der „Explosion der Kriminalität“ bisher nicht viel mitbekommen habe. Vor allem aber ärgert mich, wie eine direkte Verbindung zwischen dieser angeblichen Entwicklung und Geflüchteten gezogen wird.

Schaut man sich einige der vielen Beiträge, die zur derzeitigen Lage am Kottbusser Tor geschrieben und gesendet worden sind, einmal an, offenbart sich schnell das dominierende Narrativ der aktuellen Berichterstattung: Das Kottbusser Tor sei schon lange ein sozialer Brennpunkt mit Gewalt- und Drogenproblemen, im vergangenen Jahr aber habe sich die Situation schlagartig verschlechtert. Dann wird eine Polizeistatistik zitiert, derzufolge sich die Anzeigen wegen Diebstahls am „Kotti“ von 2014 bis 2015 mehr als verdoppelt hätten und auch die Zahlen der Raubdelikte, Körperverletzungen und Fälle von Drogenhandel angestiegen seien. Zurückgeführt werden könne dies – so der Narrativ weiter – vor allem auf dealende und/oder antanzende Nordafrikaner und Araber, die seit ein paar Monaten vermehrt am Kottbusser Tor ihr Unwesen treiben würden:

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Gastauftritt bei #1968kritik

1968kritik

Vom 12. bis 14. Februar waren Alexandra Keiner und ich bei Stefan M. Seydel zu Gast in Zürich, um dort unter anderem mit ihm, Regula Stämpfli und Moritz Klenk zu podcasten. Der (noch recht junge) Podcast der drei heißt 1968kritik.de und widmet sich den Möglichkeiten, Bedingungen, Hintergründen, Formen und Auswirkungen von Kritik. Verknüpft war die Runde außerdem mit einem Besuch eines Talks von Slavoj Žižek in der Gessnerallee. Auch darüber wurde gesprochen. Die drei Aufnahmen stehen seit kurzem online.

Im ersten Podcast an diesem Wochenende (Folge 18 und Folge 19) ging es unter anderem um Anfang und Ende als Interpunktionen oder Unterscheidungen sowie um das Symposium »Was ist Kritik?«, das Alexandra, Moritz und ich eine Woche zuvor in Berlin besucht haben. Im zweiten Podcast (Folge 20) sprachen wir dann gleich im Anschluss an den Žižek-Talk über dessen Thesen, unter anderem mit Lukas Bärfuss und Sandro Burkart (Gessnerallee). Auch wenn Teile dieser Gespräche mit veröffentlicht wurden, die ich aus hörbaren Gründen lieber nicht öffentlich zugänglich gemacht hätte, wünsche ich trotzdem viel Spaß beim Hören.

Tagung: Soziologie als Beruf

sozalsberuf

Vergangene Woche habe ich die Tagung „Soziologie als Beruf“ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) besucht. Organisiert wurde sie von dem Ausschuss „Mittelbau in der DGS / Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft“ der DGS, der nach einem offenen Brief des soziologischen Nachwuchses an die Fachgesellschaft 2014 ins Leben gerufen wurde. Zur Zeit stehen Annekatrin Bock und ich als Nachwuchssprecher/in im intensiveren Austausch mit dieser Initiative, die Tagung war also eine gute Gelegenheit, mal zu sehen, wie die Nachwuchsarbeit in den anderen Fachgesellschaften so abläuft.

Die Tagung fand im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) statt und war sowohl professionell organisiert als auch sehr gut besucht. Eröffnet wurde sie mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Wissenschaft als prekärer Beruf?“, die mitunter prominent besetzt war (siehe Bild oben). Mitgenommen habe ich aus der Diskussion vor allem zwei Punkte: Zum einen plädierte Otto Hüter (Uni Kassel) für eine Umstellung des deutschen Wissenschaftssystems von der Habilitation/Lehrstuhl- zur Tenure/Department-Struktur. Zum anderen schlug Andreas Keller (GEW) vor, den Zugang zur Promotion stärker zu beschränken und insbesondere Postdocs nur dann weiter zu beschäftigen, wenn sie auch eine reelle Aussicht auf eine unbefristete Anstellung haben. Beide Punkte stießen bei dem durchaus heterogen besetzten Podium durchweg auf Zustimmung.

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